Coaching: Ein Praxisbeispiel

Paul L., Inhaber eines kleinen Software-Unternehmens kommt mit zwei Anliegen ins Coaching: Dauerstress und die starke Fluktuation unter seinen Mitarbeitern. Zu Beginn des Coachings lernen wir die Firma kennen.

Wir starten den Coachingprozeß mit einer systemischen Aufstellung des Unternehmens. Dazu platziert Paul in einem Workshop unter Anleitung des Coachs unbeteiligte Dritte als Stellvertreter für seine Mitarbeiter und Kunden im Raum. Aus deren Konstellation zueinander werden die Strukturen der Zusammenarbeit deutlich. Blickrichtungen, Positionen und die Nähe- und Distanzverhältnisse der Stellvertreter machen nach außen hin sichtbar, was das Problem ist: Paul nimmt seine Position als Chef nicht ein. Seine Mitarbeiter müssen deshalb diese Lücke füllen. Paul versteht das nicht. „Was heißt hier Führung?“, fragt er. „Wir sind doch alle ein Team!“

Als Folge dieser gut gemeinten Haltung müssen seine Mitarbeiter die fehlende Orientierung durch den Chef permanent ausgleichen und so Funktionen übernehmen, für die sie weder ausgebildet noch bezahlt wurden. Sie nehmen ihm übel, daß er nicht hinter ihnen steht und verlassen deshalb das Unternehmen. Wir entwickeln nun eine Konstellation, in der alle am richtigen Platz stehen und sich in ihrer Leistung anerkannt fühlen. Als Paul in der Aufstellung die Position des Unternehmensgründers und Chefs einnimmt, sind die Mitarbeiter sichtlich erleichtert.

Die gefundene Lösungsstruktur wird durch stützende Maßnahmen im Alltag implementiert. Dazu gehört vor allem, daß Paul konsequent führen lernt, ohne zu bossen. Gegen das konsequente Führen scheint er allerdings etwas zu haben. Besser gesagt nicht er, sondern jemand in ihm.

In der nächsten Phase des Coachingprozesses lernt er nun in Einzelarbeit mit dem Coach sein "inneres Team" kennen. Damit sind Teilaspekte der Persönlichkeit gemeint, wie z.B. der Pflichtbewußte, der Nachgiebige und der Antiautoritäre, die wie Teammitglieder ein Ganzes bilden.

Im Dialog des Coaches mit diesen inneren Teammitgliedern wird Paul klar, daß seine "innere Regierung" aus überaus freundlichen Altruisten besteht. So nett und kundenorientiert sind sie, daß sie seine Bedürfnisse und die seiner Mitarbeiter leicht in Vergessenheit geraten lassen. Denn wenn Paul verhandelt, handeln sie und geben noch einen Nachlass und noch mehr kostenlosen Support und Service. Danach stehen Paul und seine Mitarbeiter unter Strom, denn nun ist Dauerstress angesagt, um die Versprechungen einzulösen, die Pauls großzügige innere Personen den Kunden gegeben haben. Diesen Stress werden sie auch mit gemeinsamer Meditation nicht los.

Nun aber lernt Paul, Abstand von seinen allzu entgegenkommenden "Rechtmachern" zu gewinnen und die Gegenseite zu hören. Diese Opposition hat in seinem Alltagsleben bisher keine Stimme. Er nimmt sie nur als Ärger über den "Stress" war, den er mit Nichtachtung straft.

In der Dialogtechnik, die der Coach anwendet, können diese inneren Personen ihre Sichtweisen und Interessen immer klarer äußern. Paul realisiert so, daß es sich hier nicht nur um ärgerliche Impulse handelt, die er beherrschen muß. Vielmehr vertritt diese bislang ignorierte Opposition in seinem innerem Team einen gesunden Egoismus und fordert klare Abmachungen und angemessene Preise für gute Leistung. Sauer reagieren diese innere Personen nur, weil Paul sich ihrer Meinung nach, stets über den Tisch ziehen läßt.

Im Dialog mit dem Coach lernt Paul nun, beide Seiten anzuhören und daraufhin Entscheidungen zu treffen, mit denen alle gut leben können. Sein Streß verringert sich im Laufe der nächsten Monate erheblich und auch seine Mitarbeiter atmen auf. Bislang blieb diesen engagierten Spezialisten nur die Kündigung, um endlich wieder Luft holen zu können.

Paul ist nun in der Lage sein inneres und sein äußeres Team bewußter zu führen. Er gibt klare Orientierung, ohne dabei seine wertschätzende Fairness den Mitarbeitern gegenüber zu verlieren. Die Coaches begleiten das Unternehmen in diesem Prozeß bis sich die Situation stabilisiert hat.